Bericht zur Online-Diskussion: Warum gelten EU-Standards nicht für Import-Lebensmittel aus Drittstaaten?
In der europäischen Union gelten Mindeststandards für die Lebensmittelproduktion. Trotzdem importiert die EU Lebensmittel aus Drittländern, die diesen nicht entsprechen. Slow Food Deutschland empfielt, die Doppelstandards für Importwaren zu beenden und Spiegelmaßnahmen umzusetzen, damit für alle Lebensmittel die gleichen Standards gelten. Dazu lud Slow Food zur öffentlichen Online-Diskussion am 24.06.2024 ein.
Moderiert wurde die Diskussion sourverän von der Fach-Journalistin Tanja Busse. Als Gastgeberin war die Vorsitzende von Slow Food Deutschland, Nina Wolf, zu Gegen. Die Diskutierenden waren:
- Rita Hagl-Kehl, Mitglied des Deutschen Bundestages, SPD
- Martin Häusling, Mitglied des Europäischen Parlaments, Bündnis 90/Die Grünen
- Francisco Marí, Referent Welternährung, Agrarhandel, Meerespolitik, Brot für die Welt
- Dr. Peter Clausing, Experte für Toxikologie, Pestizid Aktions-Netzwerk Deutschland
In diesem Bericht lesen Sie eine Zusammenfassung der Diskussion aus meiner persönlichen Sicht. Den Mitschnitt der Diskussion können Sie hier (Sie werden auf YouTube weitergeleitet) sehen.
Was ist das Problem?
In der Europäischen Union gelten strenge Mindesstandards für Lebensmittelproduzenten, um die Sicherheit, Qualität und Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten. Dazu gehören Rechtsvorschriften zur Lebensmittelsicherheit, Hygiene, Kennzeichnung und Tierschutz. Für die Lebensmittelproduzenten der EU bedeutet es einen Spagat, wenn sie die Regelungen einhalten und dennoch im Wettbewerb zu Produzenten aus Drittländern bestehen müssen. Auch für die Verbraucher ist bei Importware nicht ohne Weiteres zu erkennen, ob Tierschutzstandards eingehalten wurden, Genmanipulation angewendet wurde, hochgiftige Pestizide eingesetzt wurden oder durch die Produktion Biodiversität gefährdet wurde (Stichwort Land Grabbing).
Für den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt in Produktionsländern und für Transparenz und Gesundheit für Verbraucher*innen in der EU empfielt Slow Food Deutschland nun „Spiegelmaßnahmen“, die die Standards der EU-Verodnung auch in Handelsabkommen für Drittstaaten umsetzen.
Hier ein kurzer Erklär-Film von Slow Food auf YouTube (erweiterter Datenschutz aktiviert):
Was der Welthandel mit sich bringt
Zunächst fasst Frau Wolf, Vorsitzende von Slow Food Deutschland, die Vorzüge und Nachteile des globalen Welthandels zusammen und eröffnet damit die Diskussion.
genannte Vorzüge des Welthandels und von Spiegelmaßnahmen
- Der globale Süden verbessert seine Lebensbedingungen durch den Handel (Wolf)
- Der Handel stabilisiert Länderbeziehungen (Wolf)
- Bestehende Vorschriften z.B. aus den WTO-Handelsabkommen sind in Kraft (Häusling)
- Internationale Standards, bei denen auch Drittstaaten Mitspracherecht haben, würden die Handelsbeziehungen stärken, statt die Vorgaben nur aus der EU kommen zu lassen (Mari)
genannte Probleme in diesem Zusammenhang
- Schutz von Menschenrechten und Naturschutz-Vorschriften wird bei Importen oft nicht nach EU-Standards umgesetzt (Wolf), zudem ist es teils nicht möglich diese in Drittländern zu kontrollieren (Häusling)
- Bei der Ausweitung von Standards auf Import-Ware wird schnell der Vorwurf von Markt-Abschottung laut (Häusling)
- Gesundheitsgefährdende Pestizide und Schadstoffe über Tierfutter werden auch in die EU importiert (Hagl-Kehl)
- Die EU ist selbst ein großer Exporteur, achtet aber nicht darauf, ob die Standards bei Übergabe weiter gehalten werden können. Beispiel ist die geforderte Kühlkette bei gefrorenem Fleisch, die in Drittländern oft nicht gegeben ist. Was richtet die EU als Exporteur an? (Mari)
In Anbetracht der planetaren Grenzen und Ressourcenschonung sollte ein regionales und ökologisches Ernährungssystem dringend gefördert werden. Auch die Resilienz der Länder wird durch kleinere, vielfältige Ernährungssysteme gesteigert. Diese Einsicht wird von vielen Landwirten in ökologisches Handeln und von vielen Verbrauchern durch ökologisches Essverhalten bereits versucht umzusetzen. Die geltenden Doppelstandards erschweren es, diese Bestrebungen zu fördern.
Dr. Peter Clausing fordert zudem das Export-Verbot von hochgiftigen Pestiziden, die Menschenleben sowohl bei den Anwendenden, als auch bei Verbraucherinnen und Verbrauchern kosten. Bisher würde ein „gefahrenbasierter“ Ansatz gefahren, indem Pestizide peu á peu reduziert und verboten werden bzw. fertige Produkte vom Markt genommen werden, statt direkt die Wirkstoffe zu verbieten. Dabei vergiften Pestizide nicht nur Schädlinge, sondern auch Landwirte, Verbraucher, Anreiner, Böden und Mitarbeiter von Pestizidlagern. Auch ihm ist der Vorwurf eines „Molekularen Kolonialismus“ z.B. aus Brasilien bekannt, denn das Verbot von hochgiftigen Pestiziden würde die Produzenten auch im Ausland einschränken. Doch auch in den Drittstaaten ersehnen sich Insektenexperten und Feldarbeiter ein Verbot solcher Gifte. Alle Diskutant*innen stimmen dem zu. Mari gibt zu bedenken, dass durch das Verbot einzelner Pestizide nicht automatisch andere Pestizide als unbedenklich betrachtet werden dürfen.
Die Verbraucher-Sicht
Der Verbraucher entscheidet beim Einkauf in wenigen Sekunden, zu welchem Produkt er greift. Die Kennzeichnungspflicht und vielen Labels sind oft undurchschaubar und das Vertrauen von Verbrauchern wird auf eine harte Probe gestellt. Dennoch wird in Frage gestellt, ob die höheren Kosten für faire, ökologische Ware die Verbraucher oft abschrecken, während sie bereit sind für Livestyle-Produkte tiefer in die Tasche zu greifen, ohne sich über die öko-sozialen Auswirkungen Gedanken zu machen.
Hagl-Kehl fordert daher weitere Aufklärungskampagnen für Verbraucher, damit diese die Auswirkungen ihres Einkaufsverhaltens kennen. Gleichzeitig wirbt sie für ein Nachhaltigkeitslable, an dem gearbeitet wird, durch das viele wichtige Standards gekennzeichnet würden, wie z.B. Klimaschonung, Arbeitsbedingungen oder Pestizide. Es fehlt hierfür allerdings weiterhin an einer stabilen Datenbank, die aufgebaut werden müsse.
Häusling bemängelt, dass das Wort „regional“ nicht definiert ist. Das Gemüse aus Spanien sei wegen des geringen Mindestlohns deutlich günstiger, ginge aber mit hohem Wasserverschleiß und oft miserablen Arbeitsbedingungen einher. Das tatsächlich regional angebaute Gemüse (aus deutscher Sicht) wird daher vom Verbraucher oft verschmäht. Die Bestrebungen einen CO2-Verbrauch zu kalkulieren und dem Verbraucher so die Entscheidungsgrundlage zu geben, bemängelt er als schwer umsetzbar, da es die Bauern weiter mit Bürokratie überlasten würde.
Mari lobt das EU-Bio-Siegel, dem es gelungen sei einheitliche Standards zu setzen, die auch äquivalent in anderen Ländern, wie der USA gelten und ebenso verfolgt werden. Ein anderes Lable, das lobend erwähnt wird, ist Fair Trade, durch das es gelungen ist höhere Produktionskosten transparent zu machen.
Ist Agrar-Ökologie die Lösung?
Unstrittig brauchen wir weltweit eine Agrar- und Ernährungswende, in der Hybrid-Saatgut, Dünger und Pestizide keine Rolle mehr spielen. Sozusagen als Übergang von Klimaschädlicher Produktion zu regenerativem Anbau wird die Agrar-Ökologie angeführt. Denn eine flächendeckende Umstellung auf Bio-Landwirtschaft braucht Zeit und Geld, was sich viele Landwirte auf Anhieb nicht leisten können. Der Bericht des High Level Panel of Experts on Food Security and Nutrition (HLPE), einem Gremium des Komitees für Welternährungssicherheit (CFS) legte den Bericht „Agroecological and other innovative approaches for sustanainble agriculture and food systems that enhance food security and nutrition“ im Juli 2019 vor und formulierte darin 13 Prinzipien der Agrar-Ökologie. Mit der Arbeit nach Agrar-Ökologischen Standards wird Landwirten ermöglicht ohne Zertifizierung eine Umstellung anzustreben.
Ein agrarökologischer Ansatz für nachhaltige Nahrungssysteme ist somit definiert als einer, der bevorzugt natürliche Abläufe nutzt, externe Inputs äußerst sparsam gebraucht, geschlossene Kreisläufe fördert, um negative externe Auswirkungen zu minimieren, die Bedeutung von gelebten örtlichen Erfahrungen groß schreibt, aber auch wissenschaftliche Methoden einbezieht sowie partizipativ vorgeht – und das gegen soziale Ungleichheiten. (Quelle)
Fazit: Wo als erstes Angreifen gegen ungerechte Standards?
Das Problembewusstsein von öko-sozialen Rahmenbedingungen der Lebensmittelproduktion rückt immer mehr in den Fokus. Die Zusammenhänge sind komplex und die Lösung besteht daher aus vielen Stellschrauben. Die Diskutanten können sich auf dieses Empfehlung einigen:
- Umstellung der Landwirte auf Agrar-Ökologie als Übergang zu Bio-Landwirtschaft
- Spiegelmaßnahmen für Importe
- Bilaterale Freihandelsabkommen sind eigentlich nicht mehr zeitgemäß und sollten durch internationale Regelungen ersetzt werden. Mit gutem Beispiel voran zu gehen und damit Standards zu setzen zieht aber immer wieder.
- Verbraucher-Aufklärung
- Auch der Handel muss einbezogen werden.
- Export-Verbot von hochgiftigen Pestiziden
Weitere Informationen in der zugehörigen Slow Food Kampagne.
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