Ein Tag mit rotem Faden, drei roten und einem grünen Stern
Im verregneten Urlaub im wunderschönen Ahrntal haben wir uns einen Besuch im Atelier Moessmer, beim Drei-Sterne-Lokal von Norbert Niederkofler gegönnt. Der vierte Stern hebt sich grün ab, denn er zeichnet Köche aus, die „sich durch ihr Engagement für nachhaltige Gastronomie besonders hervorheben“ (Quelle). Ein wunderbares Mittags-Menü, das sich weit in den Nachmittag zieht, bei dem man den Köchen ganz nah kommt und wir uns samt unserer Kinder wie in eine weich-warme Lodendecke (das Restaurant ist in einem alten Fabrikteil der Tuchfabrik) gehüllt fühlen. Nicht nur wegen des unglaublichen Augenschmaus und Mundkinos, das uns in der Küche sitzend serviert wird. Sondern auch wegen des ethischen Prinzips, dem das Koch-Team folgt. Und darum soll’s hier gehen.
Das Prinzip „Cook the mountain“
Der rote Faden entspann sich bereits, als wir vor der Tisch-Reservierung die Burg Taufers besuchten. Hier konnten wir die urige Küche bewundern, in der unter anderem die Hühner-Ställe als Vorratslager zu sehen sind und die sogar einen Essensaufzug besaß. Außerdem hielt der „Eiskeller“, der im Winter mit Eis bestückt wurde, die Vorräte auch im Sommer kühl. Hier las ich auch, dass das Ahrntal lange Zeit „Selbstversorger“ war. Wegen der Abgeschiedenheit des Tales, waren die Bewohner darauf angewiesen, von dem zu leben, was die Berge hergaben: Tiere wurden vom Kopf bis Huf verarbeitet, Kräuter, Gemüse und andere essbare Pflanzen wurden mit Geschick, Wissen und Findigkeit verspeist und für die Wintermonate haltbar gemacht.
So hatte ich das Prinzip von Norbert Niederkoflers „Cook the mountain“ bereits nebenbei kurz vor der Ankunft im Atelier entdeckt. Im Gespräch erzählt Niederkofler mir, dass ihm spätestens seit der Geburt seines ersten Sohnes klar war, dass sich in der Küche etwas ändern muss. Die gehobene Küche fliegt damals Zitrusfrüchte und Meerestiere in ihre Kochtöpfe und wählt selbstverständlich nur das Filetstück der Fleischlieferanten. Nach uns die Sintflut! Nein, Kochen und Essen, das soll für Niederkofler ethisch sein. Nur dann ist sie eine wahrhaft gute Küche.
„Ich will den Funken der ethischen Küche auf die Welt überspringen lassen. Ich möchte die Art verändern, wie wir essen, zusammenarbeiten und leben.“, so Niederkofler.
„Cook the mountain“ bedient sich dabei den Prinzipien die wir im Tal schon kennengelernt haben:
- Regional: Essen, was vor der Haustür wächst und von den umliegenden Bauern hergestellt wird.
- Saisonal: Nicht das Rezept gibt die Inhalte vor, sondern die Natur gibt, was gerade reif ist. Und für später wird’s haltbar gemacht.
- No waste: Tiere werden komplett verarbeitet.
Was mich daran begeistert ist, dass Niederkofler die Ethik des Essens – ein Thema das mich spätestens seit letzem Jahr umtreibt – in der Sterneküche konsequent umsetzt und damit ein prominentes Vorbild ist. Die Menükarte wird, wenn es sein muss, täglich geändert. Ausschlaggebend ist, was der Bauer liefern kann, was die Natur vorhält und was in der Vorratskammer eingemacht ist (allein beim Champagner und beim Kaffee konnte ich kleine Ausreißer entdecken). Die Saisonalität wird nicht als Klotz am Bein erlebt, sondern ihre Vorzüge werden hervorgehoben: reifes Obst und Gemüse aus der Region schmecken besser und sind gesund, weil sie keine weiten Stecken zurücklegen mussten und erntefrisch auf den Teller kommen. Mal ganz abgesehen von der CO2-Einsparung. Im Atelier Moessmer findet man keine Zitrusfrüchte, nicht einmal Olivenöl wird verwendet. Das engt ihn aber nicht ein, sondern macht kreativ: Traubenkernöl wird mit den Aromen der Berge versetzt und eher unbekannte Gewürze, Obst und Gemüse werden wiederentdeckt. Ausschließlich örtliche Süßwasserfische finden auf die Speisekarte und neben dem zarten Filetstück kommt selbstverständlich auch sämtliches andere Muskelfleisch, Haut, Knochen und Innereien auf den Teller. Eine Frage des Respekts vor dem Tier, vor der Natur und vor dem Erzeuger. Das trägt zur Vielfalt in der Küche und in der Natur bei. Damit will Niederkofler und sein Team nicht nur ein „Rezept“ in der Küche umsetzen, sondern nach eigener Aussage zu sozioökonomischen Entwicklungen beitragen.
Sind wir bereit für unseren persönlichen grünen Stern?
Lässt man sich einmal auf den Gedanken ein, ist es einleuchtend, dass wir mit unserem Essverhalten maßgeblich auf unsere Umwelt einwirken. Deutschlands „Gastrosoph“ Harald Lemke macht den großen Gedanken verdaulich, dass Essen nicht nur Privatvergnügen ist, sondern unterschätzte Sprengkraft besitzt, wenn wir uns die Zusammenhänge von Essen und sozialen Verhältnissen, Natur, Ökonomie und Weltpolitik klar machen.
Wir essen drei mal am Tag. Täglich. Und wenn wir nicht gerade essen, dann kaufen wir Essen ein, verabreden uns zum Essen, planen unsere Mahlzeiten, Kochen, gehen arbeiten, um uns das Essen leisten zu können. Unter anderem.
Deswegen können kleine Denk- und Handlungsveränderungen bereits einen großen Einfluss auf unsere Welt haben: Wie cool ist es wirklich, Meeresfisch zu essen, wenn wir uns gar nicht am Meer befinden? Dass Geiz geil sei, zweifeln wir inzwischen an. „Billig“ geht meist auf Kosten anderer und der Natur, die ausgebeutet werden. Erdbeeren im Winter sind nicht nur mundfaul, sondern auch ein CO2-Desaster.
Es ergibt einfach Sinn, sich über die Herkunft und Verarbeitung unserer Lebensmittel Gedanken zu machen. Die Prinzipien können wir uns bei Niederkofler abschauen:
- Saisonal.
- Regional.
- No waste.
Was hält die Verbraucher und andere Gastronomen davon ab, diese Prinzipien zu verfolgen?
- Der Preis?
- Bequemlichkeit und Gewohnheit?
- Wissen?
Konventionell ist billiger als Bio. I get it. Aber nur, weil die Kosten verschoben werden. Arbeiter und Natur werden ausgebeutet und die Artenvielfalt, Inhaltsstoffe und der Geschmack leiden. Am Ende zahlen wir hier mit unserer Lebensqualität. Im eigenen Kochtopf können wir uns das ethisch gute Essen leisten. Saisonales, regionales Essen spart Geld, weil das gegessen und gefeiert wird, was im Überfluss vorhanden ist. Je frischer das Gemüse, desto mehr Bestandteile davon kann man davon auch verzehren. So lassen sich auch aus den Blättern von Kohlrabi und roter Beete hervorragende Gerichte zaubern, statt sie nur zu kompostieren. Auch dadurch bekommt man am Ende mehr für’s Geld. An der Stelle sei auch erwähnt, dass der Markt es noch nicht hergibt, dass wir alle uns bio ernähren. Und so geraten wir in die Frage, was bio eigentlich bedeutet und wie viel so ein Label wert ist. Alles gute Fragen. Lasst sie uns stellen! (An anderer Stelle) Der Markt verändert nicht nur uns, sondern auch wir verändern den Markt. Darum geht es beim „ethischen“ kochen und essen.
Aber wir sind es nicht gewohnt uns nach der Saison zu richten. Und Essgewohnheiten zu durchbrechen ist anstrengend. Es mangelt uns zudem an Kreativität und Forschergeist. Dafür braucht es Zeit, die wir uns nicht nehmen. Denn es braucht Kreativität, statt den gewohnten Rezepten zu folgen, eigene Kreationen aus Gemüse zu kochen, das eben gerade zur Verfügung steht. Noch dazu, wenn es in kargeren Monaten vielleicht einen Überfluss an dem ewig selben gibt und man hier versucht abwechslungsreiche Gerichte zu kreieren. Und es braucht einen Forschergeist, der Lebensmittel für später haltbar macht und neue, regionale Lebensmittel wieder entdeckt und in den Speiseplan integriert.
Und damit wären wir bei dem Thema Wissen. Obwohl wir Kochsendungen konsumieren, haben viele Menschen das Kochen schlicht verlernt. Oft sind auch Methoden, wie man Essen haltbar macht und veredelt in Vergessenheit geraten. Es ist bequemer Fertiggerichte warm zu machen, was auch dazu führt, dass wir zunehmend unsere Geschmacksknospen verkümmern lassen. Wir sollten den Geschmack vom Acker, von Frische und Kochvariation wieder erlernen.
Vielleicht hilft es, uns einen kleinen grünen Stern vorzustellen, den wir jedes Mal bekommen, wenn wir nach den ethischen Prinzipien kochen und essen.
Finde dein eigenes „Cook the city“ oder „Cook the Vorort“ Prinzip. Fange vielleicht mit deinem Garten oder Balkon an, mit einer örtlichen Solawi oder Fleisch nur noch vom Bio-Hof um die Ecke? Und schau, wo du hinkommst, wie es weitergeht. Sammle grüne Sterne.
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