Bitte, bitte, bitte, Mama!
Heute war mein Sohn (5) beim Einkauf dabei, weil ich ihn mit Halsschmerzen nicht in den Kindergarten geschickt habe. Keine Sorge – es geht ihm sonst gut. Gemüse beziehen wir zum größten Teil von der regionalen solidarischen Landwirtschaft. Das Fleisch haben wir heute direkt beim Bauern geholt. Im Supermarkt kaufen wir möglichst Bio-Qualität. Trotzdem gibt’s Sachen, da komm ich nicht drum herum. Zumindest fehlt mir da der Kampfgeist. Bevor ich den Nervenzusammenbruch des Jahrhunderts heraufbeschwöre wandern folgende Lebensmittel ebenfalls in den Einkaufswagen: der Joghurt mit zu viel Plastik-Verpackung und Plastikspielzeug, Gurken und Tomaten müssen rund um’s Jahr gekauft werden und konventionelle Gelbwurst, weil die Bio-Wurst ihm halt nicht schmeckt. Immerhin kommentiere ich wenigstens, dass so viel Plastik „gar nicht schön“ ist, die Gurke im Gewächshaus außerhalb von Deutschland großgezogen wurde und die Tiere, die zu Gelbwurst verarbeitet wurden „kein so schönes Leben hatten“. Ich komme mir vor wie eine Heuchlerin und ein bisschen quengelig.
Eltern sind Vorbilder. Sie geben ihren Kindern durch ihr Einkaufs-, Koch- und Essverhalten weiter, was akzeptabel ist und was nicht. Was schmeckt oder wie man es so zubereitet, dass es schmeckt. Und ja, es sind noch immer zum großen Teil Frauen, die die Care-Arbeit „hauptberuflich“ übernehmen, deswegen sind es durchaus zum großen Teil die Mütter, die das Thema Ernährung und ihre Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft an ihre Kinder weitergeben. Sie kaufen ein. Sie kochen. Laut Umfrage des Ernährungsreports 2023 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (es wurden 1000 Bürger*innen ab 14 Jahren befragt) stehen mehr Frauen als Männer jeden Tag selbst am Herd (55% zu 34%).
Frauen achten eher auf nachhaltige Ernährung
„Zum Glück!“, möchte ich fast rufen, wenn es um die Zukunft einer nachhaltigen Ernährung geht. Laut des Ernährungsreports 2023 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (es wurden 1000 Bürger*innen ab 14 Jahren befragt) achten Frauen stärker auf eine nachhaltige Ernährungsweise. Im Einzelnen bedeutet das, dass sie z.B. auf folgende Aspekte stärker achten, als Männer:
- vegetarische Ernährung (11% vs. 5%)
- flexitarische Ernährung (56% vs. 36 %)
- täglich Obst und Gemüse (80% vs. 63%)
- täglich Fleisch oder Wurst (11% vs. 28%)
- Tierwohl (76% vs. 55%)
- umweltschonende Produktionsmethoden (56% vs. 39%)
- Regionalität (57% vs. 39%)
- Insektenschutz in der Landwirtschaft (55% vs. 42%)
- Gütesiegel (72% vs. 58%)
Bravo. Aber wie abgeschmackt, beim Thema „Frau isst gut“ einfach nur auf die Hausfrauenrolle zu verweisen!
Frauen sorgen für eine nachhaltigere Lebensmittelproduktion
Der BIOFACH Kongress der internationalen Bio-Lebensmittel- und Naturkosmetik-Community in Nürnberg stand dieses Jahr unter dem Thema „Food for Future: Frauen und nachhaltige Ernährungssysteme“. Wie groß das Interesse an diesem Thema war, lässt sich allerdings bezweifeln, wenn nur 700 der 35.000 Teilnehmenden dem zugehörigen Vortrag lauschten. Oder ist das viel? Dabei ging es der Veranstaltungsleitung, Steffen Waris darum, „zu einem Perspektivwechsel einzuladen.“
Also bitte, folgen wir der Einladung. Nicht zum Selbstzweck sollten wir die vernachlässigte weibliche Perspektive einnehmen, sondern weil die „Förderung der Gleichstellung der Geschlechter positive Auswirkungen auf die dreifache Herausforderung der Lebensmittelsysteme haben kann, die darin besteht, Ernährungssicherheit und Ernährung für die wachsende Bevölkerung zu gewährleisten, den Lebensunterhalt von Millionen von Menschen zu sichern die in der Lebensmittelversorgungskette arbeiten, und dies auf umweltverträgliche Weise zu tun.“, so die OECD (Quelle). Die Agrar- und Ernährungswirtschaft ist weltweit ein großer Arbeitgeber für Frauen, die jedoch oft in den weniger gut ausgebildeten und bezahlten Bereichen arbeiten. Würde es gelingen, die kulturellen, historischen und sozialen Nachteile auszugleichen, die das Arbeiten von Frauen und Männern zu gleichen Bedingungen verhindern, könnten Frauen leichter an Entscheiderinnen-Positionen gelangen und so mit ihrem Fachwissen die notwendigen Transformationsprozesse entscheidend weiterbringen. Laut US-Außenministerium ergaben Studien, „dass Unternehmen mit einer ausgewogenen Geschlechterverteilung in der Führung sich stärker für nachhaltige Geschäftspraktiken einsetzen. Eine solche Studie, in der mehr als 11.700 Unternehmen befragt wurden, ergab, dass ein Frauenanteil von mindestens 30% in den Vorständen der Unternehmen die Klimagovernance verbessert und die Wachstumsraten der Emissionen verringert.“ (Quelle) Mehr zu den Ergenissen des Konkresses in dessen Pressemitteilung.
Ursula Hudson: geistiges Vorbild für die Ernährungswende
Ja. Hätte, hätte, Fahradkette. Lassen wir uns von einer Frau inspirieren, die ihre Umwelt dazu ermuntert hat, kritisch hinzuschauen, aufmerksam zu beobachten und mitzudenken, wenn es um die Entwicklungen in der Ernährungswelt ging. Die 2020 verstorbene Ursula Hudson war langjährige Vorsitzende von Slow Food Deutschland (SFD) und Vorstandsmitglied von Slow Food International. Sie hat sich medienstark für eine Ernährungswende eingesetzt und klar gemacht: Menschengesundheit geht nur mit Planetengesundheit. Und umgekehrt stimmt das gleiche: unsere Ernährung – das, womit wir einen guten Teil eines jeden Tages verbringen – hat eine immense Auswirkung auf das Klima. Dabei gab sie der Debatte um den Verzicht, den man scheinbar in selbstaufopfernder Weise (ein Kleid, das uns Frauen nur all zu oft gut steht) umzudrehen wusste. Denn für’s Klima verzichten wir nicht auf das gute, wertvolle Essen, sondern in „allererster Linie […] auf Lebensmittel, die hochverarbeitet sind und auf eine Art und Weise erzeugt werden, dass sie Mensch, Tier und Umwelt ausbeuten, in Strukturen, die zu einer Sortenverarmung sowie der Diskreditierung und dem Verlust von Handwerk führen und schon jetzt horrende Kosten nach sich ziehen – und zwar für jeden von uns.“ Die Fülle und Vielfalt in den Supermarktregalen ist nur eine Illusion, die auf Kosten einer echten Artenvielfalt und Biodiversität geht. Eine wunderbare, schlaue und wortgewandte Frau, die uns die Augen öffnen konnte und für ein faires und öko-sozial nachhaltiges Ernährungssystem eingesetzt hat.
Ja und wenn ich da nun stehe und meinen Kindern mit erhobenem Zeigefinger doch wieder Lebensmittel kaufe, die ihnen einfach besser schmecken oder mir das Kochen für ein schnelles Abendessen erleichtern, dann blicke ich zu so einem Vorbild auf. Aber immerhin, ich spreche darüber und ich versuche mich zu bessern. Und so gehen wir eben Stück für Stück unseren Weg der Ernährungswende. Jeder so wie er oder sie es versteht und kann.
Kennst auch du herausragende Frauen, die im Sinne einer Ernährungswende Wegbereiterinnen sind oder waren? Lass mir einen Kommentar da!
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